Frankfurt, Fahrrad, Kaffee und keine Idee, wie das alles zusammenpasst
Was haben Kaffee und Radläden gemeinsam? Keine Idee. Ein Trip nach Frankfurt wird zur Spurensuche in meiner Kindheit.
„Wenn es ein Gesetz gäbe, dass dir nur ein einziges Fahrrad zu besitzen erlaubt: welches würdest Du behalten?“
Mit dieser fiktiven Frage unterbricht Sandra die meditative Stille unserer Wanderung in den Bergen.
„Hum, lass mal nachdenken.“
Allein die Frage ist … irgendwie dystopisch und an sich schon die Überlegung wert, wie es zu so einem beknackten Gesetz kommen konnte.
Gut, das Pro-Person-nur-ein-Fahrrad-im-Besitz-Gesetz (PPneFiBG) tritt morgen in Kraft. Denk scharf nach: welches Rad behalte ich?
Gar nicht so einfach, wenn ich die Auswahl bedenke, die mein Fuhrpark hergibt.
Vielleicht das Fat-E-Bike: Elektrisch angetrieben, gefedert, meistert jedes Terrain, ist faltbar und damit das Vielfältigste, ob mit oder ohne Anhänger. Problem ist nur: es wiegt 29 Kilo – und ist damit nicht wirklich multimodal einsetzbar.
Die Zukunft der Mobilität wird eine multimodale sein, das weiß ich.
Kommt eigentlich nur mein Nicht-E-Faltrad in Frage: Wiegt 11 Kilo, ist gefedert, schnell und kompakt faltbar. Und der Reichweite sind keine Grenzen gesetzt – ausser die der eigenen Kondition. Anhänger hatte ich auch schon dran – funzt. Interessanterweise passt es gefaltet sogar in den Anhänger – mehr Multimodalität geht nicht.
Mein Nicht-E-Faltrad ist das Birdy. Es ist zwar nicht so kultig wie das Brompton, punktet dafür in Sachen Design, Stabilität und Sportlichkeit. Nur die Farbe des Vogels, limettengelb, würde ich gerne bei Gelegenheit übertünchen – besser noch: galvanisieren lassen.

Neulich erfahre ich in einem Blog-Beitrag von komoot „Die 18 besten Fahrrad Cafés Deutschlands“ vom Parrots and Crows in Frankfurt – einer Mischung aus Café/Bistrot, Fahrradladen und Werkstatt mit angeschlossenem Galvaniseur. Fehlt eigentlich nur noch der Barbier.
Abgesehen davon: Fahrrad Cafes sind an sich schon eine originelle Idee, auch wirtschaftlich gesehen. Als in Deutschland im Zuge der Corona-Pandemie Ende März 2020 der bundesweite Lockdown beschlossen wurde und die gesamte Gastronomie, insbesondere kleinere Cafes und Bistrots unter Druck gerieten, gehörten Fahrradhändler und -Werkstätten zu den ersten, die ihre Läden nach den ersten Lockerungen ab April wieder öffnen durften – und boomten!
Jedenfalls habe ich nie zuvor solche Schlangenbildungen vor Radläden beobachtet wie zur der Zeit. Ein Kaffee auf die Hand oder Testräder für eine kurzentschlossene Probefahrt hätten die Wartezeiten sicherlich angenehm verkürzt.
VanMoof – die schicke Fahrradschmiede aus den Niederlanden – jedenfalls nutzte die Gelegenheit und mietete in Frankfurt kurzerhand ein gelockdowntes Cafe im Westend an und wandelte es zu einem Pop-Up Store um, um den Leuten die Gelegenheit einer Probefahrt mit dem neuen S3 bzw. X3 zu bieten.
Für eine Probefahrt mit dem S1 musste ich vor 2 Jahren noch nach Berlin reisen, und für das S2 musste der Zufall nachhelfen, als Sandra einen VanMoof-Laden in Paris entdeckte, wo wir eine Ausstellung über’s Wochenende besuchten.
Schön, dass ich das S3 jetzt quasi vor der Haustür Probefahren kann. Trifft sich eh gut: Bei der Gelegenheit kann ich weitere Frankfurt ToDos auf meiner Liste abhaken, allem voran: einen alten Freund treffen und gescheiten Kaffee besorgen.
Am Ende meines Frankfurt-Trips werde ich einige interessante Aspekte über die magische Verbindung zwischen Fahrrad und Kaffee lernen. Und dass beides durchaus Tradition in Frankfurt hat.
Radschnellweg Frankfurt-Darmstadt
Nach Frankfurt nehme ich meistens den Regionalzug bis zum Hauptbahnhof und radele dann von dort aus mit dem Rad in die Innenstadt. Wenn ich Zeit habe, fahre ich auch schon mal die kompletten 35 Kilometer mit dem Rad nach Frankfurt und nutze den Zug nur für die abendliche Rückfahrt.
Meine Lieblingsstrecke führt über die B3 nach Egelsbach, Langen, Neu-Isenburg und schließlich über die Darmstädter Landstraße nach Frankfurt Sachsenhausen. Langen markiert dabei die Hälfte der Strecke. Dort kehre ich auf einen Espresso beim Italiener oder an heißen Tagen auf ein erfrischendes Radler im Haferkasten ein.
„Aber das ist doch keine schöne Strecke, so durch die Innenstädte und zwischen den Autos“ – meint Sandra. Finde ich ganz und gar nicht. Gerade das macht den Reiz aus: Ich beobachte gern die Entwicklungen der Baustellen und Innenstädte und wie sich die Leute in ihrer Stadt bewegen.
Sandra und Google Maps hingegen bevorzugen die knapp längere Strecke an der Bahnstrecke entlang, durch den Langener Wald. Mir fällt ein, dass dort bereits ein Teilstück des Radschnellwegs von Frankfurt nach Darmstadt fertiggestellt ist – und das möchte ich mir diesmal anschauen und wähle daher Sandra’s Route.
In meiner romantischen Vorstellung ist so ein Radschnellweg wie ein Radweg-Pendant zur Autobahn: Es gibt Ausfahrten, damit der Fahrfluss nicht unterbrochen wird, keine Fußgänger auf der Fahrbahn und hier und dort eine Fahrrad-Raststätte, wo man auf die Toilette oder sich kurz erfrischen kann.
Der erste Eindruck ist ernüchternd: Gleich zu Anfang begegnen mir mir Fußgänger und Jogger – der Radschnellweg ist explizit auch für Fußläufige gedacht.
Etwas komisch muten auch diese schrägmontierten Abfallbehälter an, die alle paar Kilometer aufgestellt sind. Dass die Abfallentsorgung auf dem Fahrrad ein Thema sein könnte, darauf bin ich noch nie gekommen.

Raststätten gibt es auch nicht, stattdessen kleine überdachte Haltestellen, die Luftpumpe und etwas Werkzeug kostenlos bereitstellen – nicht mal ein Automat mit Erfrischungsgetränken und Müsli-Riegel.
Das Frustrierendste jedoch ist die Feststellung, das an bestimmten Stellen ganz normale Autostraßen den Radschnellweg durchkreuzen und man als Radfahrer warten muss, bis alle Autos vorbei sind. Als Kompromiss hätte ich wenigstens erwartet, dass an den Stellen zur Abwechslung mal die Autos warten.
3,6 Kilometer – so lang ist dieses erste Teilstück des Radschnellwegs Frankfurt-Darmstadt. Man darf gespannt sein, wie und wo die restlichen 30 Kilometer gebaut werden.
Mich in Geduld zu üben zählt leider nicht zu meinen Stärken. So fahre ich weiterhin meine Lieblingsstrecke über die B3 und genieße bei einem kurzen Zwischenstopp einen Espresso beim Italiener. Genussfahren statt Hetzen.
„Schon nächstes Jahr fahren Radler hier auf der Überholspur. So machen wir Deutschland zu einem echten Fahrradland.“
– Bundesminister Andreas Scheuer zum Bau des ersten Streckenabschnitts vom Radschnellweg Frankfurt-Darmstadt
Café Wacker
Fisch – mein alter Freund! Wir sind zusammen in Frankfurt aufgewachsen, zur Schule gegangen und haben die besten Teenager-Jahre zusammen dort verbracht.
Er war ein Meister darin, diese urkomische Finde-den-Fisch-Szene aus Monty Python’s „Sinn des Lebens“ nachzustellen – urkomisch. Das brachte ihm den Beinamen „Fisch“ ein.
Mit Fisch bin ich mittags zum After-Lunch-Kaffee im Café Wacker verabredet – beim Stammhaus am Kornmarkt. Eigentlich brauchen wir keine Verabredung – das Café Wacker gehört bei ihm zum Bio-Rhythmus.
Das Café Wacker ist eine Institution in Frankfurt. Es existiert seit über 100 Jahren und hat seit jeher eine eigene Kaffeerösterei. Im 2. Weltkrieg wurde das Stammhaus bei Bombenangriffen vollständig zerstört und erst Jahre später wieder an fast der gleichen Stelle aufgebaut.
Konzept und Inneneinrichtung wurden nie großartig verändert, so dass dort immer noch der gleiche Flair aus den Fünfzigern vorherrscht.

Es heißt, dass die Familie Wacker eine Menge Angebote bekommen hat, ins Ausland zu expandieren und ihren Kaffee in der ganze Welt zu verkaufen. Alle Angebot wurden ausgeschlagen – man wollte sich lieber auf die Tradition und auf die unmittelbare Lokalität im Rhein Main-Gebiet konzentrieren.
Vielleicht eine kluge Entscheidung. Wer weiß, ob Wacker den brutalen Verdrängungswettbewerb mit den großen Kaffeeketten überlebt hätte.
Tatsächlich wurden lediglich 3 oder 4 weitere Filialen im Frankfurter Stadtgebiet eröffnet. Meine Lieblings-Wacker-Cafe ist das auf der Berger Straße. Dort kann man schön drinnen und draußen sitzen.
Im Stammhaus am Kornmarkt dagegen ist der Platz auf ein paar Sitz- und Stehtische draußen beschränkt. Ich habe nie kapiert, warum die Leute ausgerechnet diese Filiale besonders mögen.
Vor kurzem hörte ich ein Interview mit Christoph Mäckler, einem bedeutenden Architekt und Städteplaner, der das heutige Stadtbild von Frankfurt entscheidend mitprägte.
Mäckler selbst wohnt in Kronberg. Vom Moderator gefragt, was sein Lieblingsplatz – sein „Ankerpunkt“ – sei, wenn er nach Frankfurt komme: das Café Wacker am Kornmarkt.
„Man rennt vom Café Wacker, wo man sich den Kaffee holt, über die Straße und steht mitten im Straßenraum. Und das ist eine der schönsten Stellen für mich in der Stadt“, sagt Mäckler.
Echt jetzt?
Das ist eine ziemliche düstere Stelle mit einer kläglichen Mauer die von ein paar schnöden Treppenstufen unterbrochen wird, gleich neben der Einfahrt zu einem Parkhaus. Der Ausblick und die zweifelhaften Gerüche beschreiben alles andere als einen Ort von vorteilhafter Lage.
Selbst jetzt, wo ich hier kaffeeschlürfend stehe und die Stelle mit Mäcklers Perspektive für mich zu adaptieren versuche, gelingt das nicht.
Das Geheimnis muss woanders liegen.

Bevor ich mich von Fisch verabschiede, will ich schnell noch eine Aufnahme von der Innenausrichtung machen. Auf dieselbe Idee kommt kommt eine junge japanische Frau, die wie aus einem Manga entsprungen aussieht.
Siehe da, das Café Wacker hat es als Frankfurter Sehenswürdigkeit bis bis in die japanischen Reiseführer geschafft.
Chapeau!
Respect the tech!
„Lieber mit Fahrrad zum Strand als mit dem Mercedes zur Arbeit.“
– Kalenderspruch, Autor unbekannt
Zu meiner Überraschung stelle ich fest, dass sich der VanMoof Pop-Up Store keine 100 Meter entfernt von der Café Wacker-Filiale im Westend befindet.
Ich weiß nicht, ob sich die Leute vom VanMoof-Management in Frankfurt auskennen, aber das Westend wäre auch genau der Stadtteil, wo ich die typische VanMoof-Klientel verortet hätte: eine Zielgruppe, deren soziale Konditionierung sie besonders zugänglich für ästhetisches Produktdesign macht und die Funktionalität als wichtigstes Merkmal guten Designs begreift.
Als ich unangemeldet im Store ankomme, empfängt mich ein VanMoof-Mitarbeiter bereits draußen und signalisiert mir, dass die Probefahrt gleich losgehen kann. Ich brauch nur einen QR-Code zu scannen und meine E-Mail-Adresse einzugeben.
Und das reicht als Pfand?
Bevor ich mir den Kopf zerbreche, wie der bloße Aufruf einer Webseite vertrauliche Informationen aus meinem iPhone abgreifen kann, fällt mir ein, dass ein VanMoof ja per GPS-Chip getrackt werden kann.
Die Testfahrt mit dem S3 verläuft dann wie erwartet: Gepflegtes Äußeres, gesittetes, Fahrbenehmen. Wie geschaffen für Leute, die nicht auffallen wollen und beleidigt sind, wenn sie es nicht tun.
Der Lenker ist an den Enden leicht geschwungen, was ein Plus an komfortabler Sitzhaltung bedeutet. Nur die fehlende Federung macht sich hin und wieder bemerkbar.
Gezähmt und leise der Vorderrad-Antrieb. Zwei vorstechende Tugenden, die das S3 bei Betätigung der Turbo Boost-Taste am Lenker kurzzeitig vergisst.
Die elektronische 4-Gang-Automatik tut ihr Bestes; Die kurze Zeit der Probefahrt wird aber nicht reichen, um Freundschaft mit ihr zu schließen. Ich gehöre offenbar noch zu denjenigen, die Schalten vor allem als akustisches Erlebnis empfinden.
Als Stadtrad und für Abhängig Erwerbstätige, die das Rad hauptsächlich zum Pendeln nutzen, ist das VanMoof S3 aber der ideale Kompagnon.
Besonders angetan hat es mir der Kick Lock, ein kleiner metallischer Knopf, der auf der linken Seite kurz vor der Hinterachse angebracht ist. Ein mittelsanfter Tritt dagegen, und das Hinterrad wird arretiert. Gleichzeitig werden sämtliche bordeigenen Alarme aktiviert.

Beim Versuch, das Rad wegzuschleppen, ertönt ein Höllengeräusch und sämtliche Lichter flackern wie verrückt. Gleichzeitig erhält der Besitzer eine Benachrichtigung auf sein Smartphone und bestimmt wird auch die GSG 9 in Alarmbereitschaft versetzt.
Kein anderes Rad der Welt hat sowas nützliches. Denn ich hasse nichts mehr, als nach der Arbeit noch Einkäufe erledigen zu müssen: Hier noch Brot kaufen, dort den Wein, und Zigaretten ganz woanders.
Für jede einzelne dieser Besorgungen muss ich mein Fahrradschloss auf- und wieder abschließen. Abgesehen davon, dass es mit einem Eigengewicht von gefühlt 3 Kilo überall mittransportiert werden muss – und das nervt!
Das S3 hingegen lehrt mich, dass Diebstahlschutz auch Spaß machen kann. Zum Abschließen: einfach dagegentreten und zum Aufschließen reicht es angeblich, sich dem Rad einfach nur zu nähern – vorausgesetzt, die VanMoof App ist auf dem Smartphone installiert und per Bluetooth mit dem Rad verbunden.
So geht Tech heute – Respekt!
„Lieber mit VanMoof zur Arbeit als mit dem Mercedes zum Strand.“
– Unbekannter Autor
Kaffee-Aroma
„Mütter sind die wunderbaren Menschen, die morgens noch vor dem Geruch von Kaffee aufstehen können.“
– Autor unbekannt
Vor Jahren las ich in der brand eins ein sehr spannendes Interview mit dem Marketing Experten und Sozialpsychologen Dr. Clotaire Rapaille, der von einem US-Konzern beauftragt wurde, den Code für Kaffee in Amerika zu entschlüsseln. Heißt: Herauszufinden, was den typischen Amerikaner am allermeisten dazu bewegt, Kaffee zu trinken.
Wer jetzt an Marktforschung und Kundenbefragungen denkt – weit gefehlt! Rapaille ist davon überzeugt, dass es in jeder Kultur ein kollektives Unbewusstes, eine Art kulturspezifische Prägung für eine Idee, für ein Produkt oder für einen Service gibt.
Und diese Prägungen, glaubt Rapaille etwa, erhalten vom ältesten und chefigsten Teil unseres Gehirns, unserem Stammhirn oder auch Reptiliengehirn genannt, eine Art Sonderbehandlung.
Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass das Stammhirn alle Sinneseindrücke zuerst empfängt und filtert und ganz nebenbei lebensnotwendige Vorgänge wie Verdauung, Kreislauf, Blutdruck und Atmung reguliert und – hey – schlichtweg unser Überleben steuert.
„Reptillian Hot Button“ – so nennt Rapaille also den Knopf, den er drücken muss, um das einzig wahre und wirksamste Kaufmotiv bei uns Konsumenten zu stimulieren.
Für besagten US-Konzern fand Rapaille heraus, dass der Code für Kaffee in Amerika nicht etwa der Geschmack oder irgendwelche Lifestyle-Aspekte darstellen, sondern schlicht das Aroma.
„Es ist eine ganz typische Situation: Die Mutter bereitet das Frühstück. Sie kocht Kaffee. Sie liebt dich, sie wird dir gleich etwas zu essen geben. Du bist zu Hause. Du bist in Sicherheit. In der Luft liegt das Aroma von Kaffee. Der Code für Kaffee ist Aroma. Und dieses Aroma verbinden wir mit zu Hause.
– Clotaire Rapaille
Prompt wurde die Werbung für die Kaffe-Marke des Konzerns auf das Aroma abgestellt und siehe da, die Marke wurde zum Erfolg.
Hängt Mäckler’s Idee vom schönsten Fleck Frankfurts also mit dem besonderen Aroma von Wacker-Kaffee zusammen, den er im Stammhaus am Kornmarkt das erste Mal kostete – vielleicht in Begleitung einer vertrauten Person? Who knows …
Meine Idee von hochwertigem Kaffeegenuss ist eng verbunden mit Stern Kaffee aus der Kaffeerösterei Wissmüller, einer weiteren traditionsreichen Kaffeerösterei aus Frankfurt.
Als kleines Kind jobbte ich in den Sommerferien hin und wieder in dem Obst- und Gemüselädchen, das seine Waren pop-up-store-mäßig in der Hofeinfahrt vor dem Stammhaus der Kaffeerösterei Wissmüller in Bockenheim verkaufte.

Und wenn dort mal nicht so viel los war konnte ich mir ein zusätzliches Taschengeld bei Wissmüller dazuverdienen, wenn ich beim Abpacken des frisch gemahlenen Kaffees aushalf.
Der Duft von frisch gemahlenen Kaffee … macht high, wenn man ihm längere Zeit ausgesetzt ist. Nichts kommt dem so nah, nicht einmal der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee bei klassischer Handfilterung.
Teufelspakt
„der größte fehler meines lebens war“ – wenn ich genau danach google erhalte ich folgende Ergebnisse auf der ersten Suchtrefferseite:
„… Dich damals in Stich zu lassen“
„… Dich gehen zu lassen“
„… mit dem anderen Typen was anzufangen“
„… zu vertrauen“
Zugegeben: alle diese Fehler habe ich auch begangen (außer den mit „dem anderen Typen“), aber ich würde sie nicht als meine größten Fehler bezeichnen.
Mein größter Fehler war, dem Teufel meine Kaffeeseele zu verkaufen. Was ich dafür bekam war ein – und im Laufe der Jahre – mehrere Kaffeevollautomaten, die mir seit dem schleichend die Lust am Kaffee rauben.
Denn Kaffeeautomaten enthalten uns essentielle Momente eines vollendeten Kaffeegenusses vor: nämlich den Duft von frisch gemahlenen und von frisch gebrühten Kaffee.
Was übrig bleibt, ist dieser sterile Dunst vom Mahlwerk und nicht selten ein fader Kaffee-Geschmack, der durch Fehleinstellung oder unsachgemäße Wartung des Automaten entsteht.
Am meisten tun mir jedoch die Millennials leid, deren Eltern sich Anfang unseres Jahrtausends einen Kaffeautomaten zugelegt haben und die – selbst kaum flügge – ihre erste Berührung mit Kaffee in den Stores von Starbucks und Co. hatten.
Sie mögen Kaffee trinken, aber eine Kaffeeseele werden sie nie besitzen.
„Nach einem guten Kaffee verzeiht man sogar den Eltern.“
– Oscar Wilde (1854 – 1900), irischer Lyriker
Brügelmann
Die Gegend in Frankfurt, in der ich als Kind aufwuchs, war eine Mischung aus Industrie- und Wohngebiet. Angrenzend an unserem Hinterhof erstreckte sich das Werksgelände einer Fabrik, die Spiralbohrer und Präzisionswerkzeuge herstellte.
So lernte ich schon früh jedes erdenkliche Geräusch und jeden erdenklichen Geruch kennen, die der Lebenszyklus von Stahlverarbeitung zu erzeugen vermag. Es grenzt an ein Wunder, dass ich als Folge davon keine olfaktorische Intoleranz oder zumindest eine wie auch immer geartete Misophonie gegen Stahlgeräusche davongetragen habe.
Im Gegenteil: Denn nur 200 Meter entfernt von der Fabrik befand sich der Brügelmann, ein magischer Ort, der aus Stahlgeruch einen Duft und aus einem Fahrradladen ein Zentrum für Geruchstherapie entstehen ließ.
Mein erstes Fahrrad war ein Rennrad, dazu passend der Frankfurter Didi Thurau mein erstes Sport-Idol; Und ein Fahrrad-Defekt ein stets willkommenes Ereignis, das die Vorfreude auf den nächsten Brügelmann-Besuch und die Hoffnung auf eine Begegnung mit Thurau auslöste.
Schon beim Betreten des Ladens wurde man von diesem überwältigendem Geruch erfasst, in dem sich die Aromen diverser Metalle mit dem subversiven Dunst unbefleckter Fahrradmäntel mischte.
Hier war es auch, als ich mein erstes metallisches Objekt von vollendeter Schönheit zum ersten Mal sah und berühren durfte: eine Campagnolo-Schaltung. Ein haptisches Erlebnis, fast so aufregend wie das sanfte Gleiten der Fingerspitzen entlang der straffen Taille einer Frau, die nach einem erfrischenden Bad dem Meer entstiegen ist.

Brügelmann zählte zu der Zeit zu den größten Fahrradversendern der Welt und galt Radsportlern aus dem gesamten Bundesgebiet als das „Fahrrad-Mekka am Main“.
Mit seinem für damalige Verhältnisse gigantischen Vorratslager an Ersatzteilen und Spezialwerkzeugen war es für Radsportbegeisterte auf der ganzen Welt die erste (und nicht selten die letzte) Anlaufstelle für dringend benötigte Ersatzteile.
Der zweite wichtige Erfolgsfaktor war der Ersatzteilkatalog, den Brügelmann jährlich herausbrachte und verschickte – für viele damals heiliger als die Heilige Schrift.
Heute wäre Brügelmann beinahe Geschichte, hätte nicht ein Fahrrad-Online-Shop die Markenrechte gekauft, als Brügelmann 2009 Insolvenz anmelden musste.
Das, was Brügelmann einst so erfolgreich machte, wurde es schließlich auch zum Verhängnis: ein gigantisches Ersatzteillager in Zeiten der fortschreitenden Globalisierung und ein gedruckter Katalog in Zeiten des aufkommenden Internets.
Da mutet es schon fast als Ironie des Schicksals an, dass Brügelmann’s Erfolgsstory in der Philipp-Reis-Strasse ihren Lauf nahm, benannt nach dem Erfinder des Telefons, das er 1861 erstmals in Frankfurt vorstellte und das zum Wegbereiter der zweiten Industriellen Revolution und später des Internets wurde.
Aber wer weiß, vielleicht hat ja der neue Brügelmann einen Riecher für den nächsten großen Trend – da braut sich doch gerade was zusammen.
„Fahrradfahren und Kaffeetrinken sind mehr als nur Partner. In einer Symbiose aus Genuss, Tradition, Verbindungsglied und wärmendem Wachmacher verwachsen diese beiden Elemente zu einer untrennbaren Materie. Deswegen raten wir euch, beide Dinge so oft es geht zu genießen und am allerbesten natürlich zusammen!“
– Aus dem Blog von Brügelmann
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