Cycle Chic
Wozu man ein Kleines Schwarzes im Radkeller braucht.
Wenn sich immer mehr Menschen über das Fahrrad definieren, das sie fahren, und das Fahrrad immer mehr für die persönliche Lebenseinstellung steht, “wenn etwas in der Gesellschaft so bedeutungsvoll geworden ist, findet es auch zwangsläufig seinen Weg in die Mode”, schreibt Tillmann Prüfer in einem vor kurzem erschienen Artikel im ZEIT MAGAZIN.
Große Mode-Labels haben den Fahrrad-Trend längst aufgegriffen und stellen in ihren Kollektionen bereits Brillen und andere Accessoires speziell für Radfahrer vor. Für die Mode auf dem Rad gibt sogar einen eigenen Ausdruck: Cycle chic. Geprägt wurde er vom Copenhagen Cycle Chic Blog. Sein Cycle Chic Manifesto beschreibt in 10 einfachen Geboten, was darunter verstanden werden soll.
I choose to cycle chic and, at every opportunity, I will choose Style over Speed.
– Erstes Gebot ‘Cycle Chic Manifesto’
Das letzte Gebot kann dabei stellvertretend für das gesamte Manifest gesehen werden. Darin heißt es: “Ich werde darauf verzichten, irgendeine Form von ‘Fahrradkleidung’ zu tragen und zu besitzen”. Ja, richtig gelesen: sogar das Besitzen von Funktionsklamotten gilt als unschick.
Wer jetzt glaubt, man könne mit jedem x-beliebigen Fahrrad daherkommen, nehme Gebot Nummer 8 zur Kenntnis: “Ich werde mich nach den Standards einer Fahrradkultur ausstatten und, wenn möglich, einen Kettenschutz, einen Ständer, einen Kleiderschutz, Schutzbleche, Klingel und einen Korb beschaffen.”
Zur Fahrradkultur gehört – eben – auch das passende Fahrrad.
Mit dem Mud Racer zur Oper
Denn mit dem E-Mountainbike zur Oper radeln oder mit der rostigen Pendlergurke zum schicken Date in die Stadt – geht gar nicht!
Und wie wäre es mit: Call a bike – ohne Eile die letzte Meile?
Auf keinen Fall, es sei denn, du hast ein Date mit einer Litfaßsäule.
Räder machen Leute.
Doch welches Rad passt zu einem und kann zu allen möglichen gesellschaftlichen oder feierlichen Anlässen gefahren werden?
Mir gefällt die Idee vom “Kleinen Schwarzen” im Radkeller. Frauen werden das sofort verstehen.
Das Kleine Schwarze ist ein Kleid, das jede Frau im Kleiderschrank haben sollte. Es ist eine Art Allzweckwaffe, in dem frau elegant und stilsicher gekleidet ist und ein Kleid, das perfekt sitzt. Es betont Ausdruck, Ausstrahlung und individuelle Figur seiner Trägerin, ist zeitlos und kann zu allen gesellschaftlichen Anlässen getragen werden – auf einer Cocktail-Party oder wenn man sich mit Freund*innen zum gemeinsamen Abend verabredet. Wenn die Frage: “Was soll ich nur anziehen?” zur Verzweiflung führt, ist es die Default-Option.
Im Englischen wird es liebevoll als LBD bezeichnet – little black dress. Als seine Schöpferin gilt Coco Chanel, die es 1926 der amerikanischen Vogue vorstellte und mit den Worten zitiert wurde: “Dieses schlichte Kleid wird eine Art von Uniform für alle Frauen mit Geschmack werden.”
Berühmtheit erlangte das Kleine Schwarze erst viele Jahre später durch Audrey Hepburn in ihrer Hauptrolle als Holly Golightly in “Frühstück bei Tiffany”. Der Film ist eine Art Gebrauchsanweisung, wie frau das Kleine Schwarze mit den verschiedensten Accessoires, wie Perlenketten, Handtaschen, Sonnenbrillen und Hüten am geschicktesten kombinieren kann.
Nach einer klaren Definition vom Kleinen Schwarzen sucht man vergeblich. Die Interpretationen variieren in allen Facetten – sogar in der Farbe.
Wie also lässt sich der Mythos vom Kleinen Schwarzen am besten zusammenfassen?
Tina Brown ist eine “Personal Clothing” Stylistin aus Santa Cruz, Kalifornien. In ihrem Blog-Artikel “The myth of the ‘little black dress’ again” bietet sie folgende Überlegung an:
“Ich glaube, dass jede Frau ein Kleid haben sollte, das die perfekte Form für ihren Körper hat, einfach und klassisch in der Art, so dass sie es viele Jahre tragen kann. Ich glaube einfach nicht, dass es schwarz sein muss. […] Woran ich glaube, ist das LGD oder das Little Great Dress! Es sollte in der Farbe sein, die am besten zu einer Person passt und der Figur der Trägerin schmeicheln. Sie sollte in der Lage sein, das LGD je nach Anlass besonders schick oder auch leger zu tragen. Dies sollte das Kleid sein, das sie wählt, wenn sie fantastisch aussehen und es gleichzeitig bequem haben will.”
Mit anderen Worten: So ein Rad besitzen die meisten von uns noch gar nicht.
Houston, wir haben einen Problem!
Bei meinem monatlichen Round-up der üblichen verdächtigen Radseiten entdecke ich ein Designer-Stück aus dem Hause Canyon:
“Die Verbindung von hohem Designanspruch, Sportlichkeit und Funktionalität der Canyon Urban Räder ermöglicht es, jederzeit sportlich, sorgenfrei und stilvoll jedes Ziel in der Stadt zu erreichen.”
Haben will.
Haben muss!
“I will ride with grace, elegance and dignity” verspüre ich in Anlehnung an das Cycle Chic Manifesto eine unfassbare Vorfreude auf das schicke Teil.
Vor dem Prozess der Bedarfsdeckung muß aber noch ein Konflikt gelöst werden, nämlich der mit dem Gebot Nummer 7: “Ich werde mich bemühen sicherzustellen, dass der Gesamtwert meiner Kleidung immer den meines Fahrrades übersteigt.”
Shit.
Er hat sich bemüht
Wenn die Formulierung “Er hat sich bemüht…” in deinem Arbeitszeugnis vorkommt, bedeutet das laut Zeugniscode soviel wie: “Du wurdest den Anforderungen nicht gerecht”.
Werde ich der Anforderung aus dem 7. Gebot gerecht? Lass mal checken…
Dunkelblaue Anzughose: 200 EUR, das stylishe Sakko aus Köln: 300 EUR. Meindl Wanderstiefel aus Leder: 250 EUR. Das schicke Polo-Hemd von Van Laack: 120 EUR. Die Belstaff bringt 800 Euro-Punkte ein. Ich komme dem Ziel näher. Der Leder-Gürtel, den ich passend zur neuen Anzughose gekauft habe: 50 EUR. Und packe ich noch die orange-weiss gestreifte Badehose von Zegna drauf (100 EUR), komme ich auf…
über 1.800 EUR. Bingo! Und dabei sind Accessoires wie Sonnenbrille und Uhr noch nicht mal mit eingerechnet.
Ob ich allerdings in der Kombi jemals das Haus verlasse, geschweige denn auf’s Rad steige, ist eine andere Frage. Aber ich würde sagen, das ist mindestens ein: “Er hat sich stets zu unserer vollsten Zufriedenheit bemüht…”
I am eligible.
Mein Kleines Schwarzes
Mein Kleines Schwarzes trägt die selten dämliche Bezeichnung “Commuter”, auf Deutsch: Pendler.
Ich frage mich: Welcher Odenwäldler holt sich so ein Hammer-Teil, um damit primär zur Arbeit zu fahren? Hmm, ein Drohnenpilot aus Ober-Ramstadt, der beim Europäischen Raumflugkontrollzentrum in Darmstadt arbeitet. Vielleicht.
Mein Kleines Schwarzes ist … grau!
Lass es mich erklären.
Ich habe unfassbar viele Kleidungsstücke in blau. Fast alle meine Jeans-Hosen sind dunkelblau. Dazu kommen mehrheitlich blaue Polos und Langarmshirts. Kurzmantel, Regenjacken und Sakkos – alle dunkelblau.
Würde Trump eine Blick auf meine Garderobe werfen, würde er sowas twittern wie:
This wardrobe is a real DISASTER. So sad!
Wie wir ja alle noch aus unserem Styling-Grundkurs wissen, gilt es in der Mode – und besonders bei der Farbkombination – bestimmte Regeln zu beachten.
Rot und Blau schmückt die Sau.
Die Farb-Kombi “Dunkelblau und Schwarz” ist in meinem Fall also systemkritisch. Ich kann mir nicht einfach ein schwarzes Rad zulegen, ohne eine Garderobenfolgeabschätzung (GFS) vorzunehmen.
Und Grau?
“Wenn alles nur grau ist, ist selbst schwarz eine Farbe.”, hat mal jemand gesagt. Stimmt.
Seht selbst: Fotostrecke mit meinem grauen Kleinem Schwarzen